The Lancet Oncology publizierte Mitte Oktober die Ergebnisse der Studie «SAKK 01/10» einer Forschergruppe der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK) zur Behandlung von Patienten mit einem Hodentumor (sogenannten Seminomen im Stadium IIA/B). Die Forscher konnten klar aufzeigen, dass die Kombination einer milden Chemotherapie gefolgt von einer reduzierten Strahlentherapie bei gleicher Wirksamkeit weniger Nebenwirkungen zeigte als die bisherigen Standardtherapien. Die SAKK-Studie ist die grösste, abgeschlossene prospektive Studie zur Behandlungsoptimierung in diesem Setting.[1]
Hodenkrebs ist in der Schweiz die häufigste Krebserkrankung bei Männern unter 40 Jahren. Pro Jahr erkranken etwa 470 Männer daran.[2] Die häufigste Unterart von Hodenkrebs ist das Seminom. Bei etwa 15 % aller Patienten mit einem Seminom wird die Diagnose im Stadium II gestellt, d. h. mit einer Ausbreitung in Lymphknoten im Bauch- und Beckenbereich.[3]
Bislang wurden diese Patienten entweder mit einer umfassenden Strahlentherapie entlang der grossen Bauch- und Beckengefässe oder einer intensiven Chemotherapie mit 3 bis 4 Zyklen mit 2-3 Chemotherapeutika behandelt.[4]
Die Prognose ist insgesamt gut, mehr als 90 % der Patienten werden mit einer dieser Therapieformen geheilt. Allerdings stellen Nebenwirkungen der Therapie ein grosses Problem dar. Haarausfall, anhaltende Müdigkeit, Anfälligkeit für Infekte, Schäden an Nieren, Lungen, Herz, Gefässen und dem Gehörorgan sind gehäuft, ebenso können diese Behandlungen einen anderen Tumor entstehen lassen, sogar Jahrzehnte nach der Therapie.[4]
Der SAKK-CEO Dr. Hans Rudolf Keller erklärt: «Für uns als unabhängiges Forschungsnetzwerk der klinischen Krebsforschung ist es von zentraler Bedeutung, mit unserer Forschung einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten leisten zu können. Wenn Studienresultate dann so gut sind, dass sie sogar im The Lancet publiziert werden, erfüllt uns das zusätzlich mit Stolz».
Die Studie SAKK 01/10 wurde mit 116 Patienten in 20 Zentren in der Schweiz und Deutschland über 6 Jahre durchgeführt. Die Innovation der Studie bestand darin, die mit Nebenwirkungen behaftete intensive Chemo- oder Strahlentherapie mit einer Kombination aus einer Gabe des Chemotherapeutikums Carboplatin mit einer gezielten Strahlentherapie der befallenen Lymphknoten zu verbinden, so dass im Schnitt letztlich das zu bestrahlende Volumen um 75 % reduziert wurde.[1]
Nach im Schnitt 4,5 Jahren Nachbeobachtungszeit zeigte sich eine sehr hohe Wirksamkeit. 94 % der Patienten hatten keinen Rückfall der Erkrankung erlitten, die wenigen Patienten mit einem Rückfall wurden mit einer Standard-Chemotherapie geheilt. Grosse Unterschiede fanden sich in der Verträglichkeit der neuen Therapie gegenüber dem, was von Standardtherapien bekannt ist. Mehr als die Hälfte aller Patienten hatten keinerlei Nebenwirkungen während der Behandlung und konnten ihrer gewohnten Lebensweise nachgehen, ein grosser Vorteil bei den oft jungen, erwerbstätigen Patienten mit Familie. Und noch wichtiger: In der bisherigen Nachbeobachtungszeit wurden keine Schäden an Organen oder andere Tumore festgestellt, die mit der Behandlung in Verbindung standen.[1]
Dr. Alexandros Papachristofilou, Leitender Arzt der Radioonkologie und Leiter des Bauchtumorzentrums des Universitätsspitals Basel freut sich über die Studienresultate: «Mit der Studie SAKK 01/10 konnten wir einen neuen möglichen Behandlungsstandard für Patienten mit einem Seminom im Stadium IIA/B etablieren: gleich effektiv wie die herkömmliche Therapie, aber deutlich verträglicher. Diese neue Therapieform, entwickelt in der Schweiz, kann nun weltweit übernommen werden, so dass möglichst viele Patienten profitieren. Mit dem Nachfolgeprojekt SAKK 01/18 arbeiten wir nun an einer weiteren Therapieoptimierung, stets mit demselben Ziel: so wenig Therapie wie möglich, so viel wie nötig».
Sein Co-Studienleiter und Vorstandsmitglied der SAKK, Dr. Richard Cathomas vom Kantonsspital Graubünden sieht dank der Studie einen grossen Vorteil für die Patienten: «Aus meiner langjähriger Erfahrung mit Patienten mit Hodentumoren weiss ich, wie belastend die bisherige Standardtherapie bei dieser Krebsart für die Patienten ist. Die von uns getestete Behandlungskombination ist bei gleicher Wirksamkeit dank deutlich weniger Nebenwirkungen viel angenehmer und verträglicher für die Betroffenen und damit ein klarer Fortschritt in der Behandlung von Hodenkrebs».
Der Studienleiter Dr. Alexandros Papachristofilou arbeitet im Universitätsspital Basel als Leitender Arzt in der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie. Seit 2007 ist er aktives Mitglied der SAKK und aktuell Vizepräsident der Arbeitsgruppe für Urogenitale Tumoren.
Die Studie SAKK 01/10 wurde zusammen mit der deutschen interdisziplinären Arbeitsgruppe Hodentumore (GTCSG) durchgeführt. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) und die Rising Tide Foundation for Clinical Cancer Research (RTFCCR) haben die Studie finanziert.
Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) ist eine Non-Profit-Organisation, die als Verein seit 1965 patientenorientierte klinische Krebsstudien durchführt. Die ordentlichen Mitglieder der SAKK sind die klinisch-onkologischen Hauptzentren an den Kantons- und Privatspitälern bzw. an den Universitätskliniken. Sie arbeiten mit weiteren Spitälern und Ärzten und bilden gemeinsam das Netzwerk der SAKK. Das SAKK-Kompetenzzentrum in Bern unterstützt die forschenden Ärzte, unabhängig von der Pharmaindustrie multizentrische und interdisziplinäre Studien zu entwickeln und durchzuführen.
Sarah Nyffeler
Head Marketing & Communications
SAKK-Kompetenzzentrum
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[1] Lancet Oncol 2022. https://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(22)00564-2/fulltext
[2] Schweizerischer Krebsbericht 2021. https://www.nkrs.ch/assets/files/publications/Krebsbericht2021/1177-2100-de.pdf
[3] Kollmannsberger C, Tyldesley S, Moore C, et al. Evolution in management of testicular seminoma: population-based outcomes with selective utilization of active therapies. Ann Oncol 2011; 22: 808–14.
[4] ESMO Consensus Conference Guidelines on testicular germ cell cancer: diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2018; 29: 1658–1686